Hekate- Copyright by Georgi Mishev
„Oh Tochter des Helios, sich ständig bewegender Mond, Nährerin von Allem! Oh Selene Führerin des silbernen Wagens. Hekate der vielen Namen, in der Nacht schwenkst du deine geheimnisvolle Fackel, in Flammen haltender Hand. Komm nächtliche Wanderin… Hirsche Jagende Artemis, die auf Hügeln mit Dionysos eifrig Rehkitze tötet…“ – Nonnus Dionysiaca
In vielen neuheidnischen Büchern und Internetseiten werden die Göttinnen Artemis, Selene und Hekate als eine Trinität dargestellt und mit dem Mond in Verbindung gebracht. Viele Autoren schreiben Artemis den zunehmenden Mond zu, Selene den Vollmond und Hekate den abnehmenden Mond. Oft wird dann diese Symbolik noch mit dem modernen Bild der Jungrau-Mutter-Greisin verbunden. Artemis- die Jungfrau, Selene die Mutter und Hekate die Greisin. Diese Darstellungsweise und Deutung ist aber alles andere als eine Historische.
In diesem Artikel möchte ich etwas auf die Verbindung dieser drei Göttinnen zueinander beleuchten und auch die Verbindung der Göttinnen zum Mond.
Beginnen möchte ich damit, die jeweilige Verbindung dieser Göttinnen zum Mond, etwas zu erhellen:
Bei den Griechen gab es ursprünglich eine Mondgöttin- Selene. Darüber hinaus gab es auch Göttinnen die eine lunare Verbindung hatten, aber ursprünglich nicht als Verkörperungen des Mondes (also wie Selene) gesehen wurden. Beispielsweise Artemis, Hekate, Eileityha, Phoibe, Pasiphae, Hera und Aphrodite haben alle durchaus lunare Eigenschaften bekommen, im laufe der Zeit. Doch nur Artemis und Hekate verschmelzen mit der Zeit vollkommen mit der Mondgöttin Selene (und beide gehen wiederum jeweils einen Synkretismus mit Eileityha und Phoibe ein).
Selene:
Selene ist die griechische Göttin des Mondes und verkörpert den Mond.
Ihr Bruder (nach manchen Genealogien auch ihr Vater) ist Helios- der Sonnengott und die Verkörperung der Sonne. Beide Gottheiten fahren auf Wagen über den Himmel, Helios während des Tages und Selene während der Nacht. Der Wagen von Selene wird von Rindern gezogen, in einigen quellen auch von Pferden.
In der Kunst wurde Selene als eine junge und schöne Frau dargestellt, die auf ihrem Wagen durch den Nachthimmel eilt. Oder auch als eine junge Frau, die von einer Mondsichel gekrönt ist.
Kultisch hatte Selene in Griechenland kaum Bedeutung, sie war lediglich die Verkörperung des Mondes, hatte aber bis auf wenige Ausnhamen keine Kulte.
Größere Bedeutung in der religiösen Praxis hatte die römische Göttin Luna– die von den Römern mit der griechischen Selene gleichgesetzt wurde. Für die Römer hatte die Mondgöttin einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit der Menschen, der Tiere und der Felder, diese Rollen wurden in Griechenland eher den chtonischen Göttinnen zugesprochen Demeter und Persephone (Felder, Pflanzen, Feldfrüchte), Artemis* und Hekate (Fruchtbarkeit von Mensch und Tier). Durch den Glauben, dass die Mondgöttin Einfluss auf die Fruchtbarkeit hat, hatte sie in Rom auch größere kultische Bedeutung, als Selene bei den Griechen.
Artemis:
Artemis war in ihrem ursprünglichem Wesen keine Mondgöttin. Sie war die Göttin der Wildnis, der Jagd und besonders eine Kourotrophos- eine Nährerin des Lebens. Sie konnte das Leben nähren, durch gute Jagdbeute, durch die Fruchtbarkeit der Tiere und sie wurde auch mit der Fruchtbarkeit der Menschen in Verbindung gebracht und wachte über das Heranwachsen junger Mädchen, bis sie zu jungen Frauen heranreiften. In der Kunst wurde sie als eine junge Frau dargestellt, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, umgeben von Hirschen. In der archaischen Zeit (800-500 v. Chr.) wurde sie auch als eine primitive Gestalt dargestellt, die von Wildtieren umgeben war und wahrscheinlich hatte Artemis in der Potnia Theron (der Herrin der Tiere) ihre Wurzeln. Diese obskure Göttin wurde in Griechenland im dunklen Zeitalter verehrt (1100-800 v. Chr,).
Eine Verbindung zum Mond wird für sie erst ab dem 5. Jahrhundert vor Christus belegbar, aber erst wirklich ausgeprägt in der römischen Zeit. Im 5. Jahrhundert ging Artemis einen Synkretismus mit der thrakischen Göttin Bendis ein, die wie sie eine Jagdgöttin und Kourotrophos war, aber auch ausgeprägte lunare Züge hatte. Außerdem wurde ihr Bruder Apollon immer mehr mit der Sonne identifiziert und mit Helios geglichen, was dazu führte, dass auch Artemis mit der Mondgöttin Selene geglichen wurde. In der Kunst wurde Artemis auch nie als Mondgöttin dargestellt, alle Statuen und Bildnisse der Artemis/Diana, wie sie mit einer Mondsichel gekrönt wird, stammen erst aus der Renaissance.
Hekate:
Ebenso wie Artemis hatte auch Hekate ursprünglich keine lunaren Züge. In ihrem ursprünglichen Wesen hatte sie eher solare und chtonische Züge und wurde als eine nächtliche Sonnengöttin gesehen. Ebenso wie Artemis wurde sie auch als Kourotrophos gesehen, die das Leben nährt. Und Ebenso wie Artemis hatte sie vermutlich Wurzeln in der Potnia Theron- der Herrin der Tiere, doch ebenso in kleinasiatischen Erd- und Sonnengöttinnen.
In der Kunst wird sie in der archaischen Zeit thronend dargestellt (ähnlich wie Kybele) und dann im Übergang zur klassischen Zeit (500 v. Chr.) wird sie als junge Frau dargestellt (manchmal sogar fast kindlich) die Fackeln trägt und ähnlich wie Artemis als Jägerin gekleidet ist. Später wird die dreifaltige Dartellungsweise für sie charakteristisch- drei junge Frauen die um einen Polos (Pfeiler/Säule) stehen (oder später auch Rücken an Rücken).
Ebenso wie Artemis ging sie ab dem 5. Jahrhundert v. Chr., einen Synkretismus mit der Göttin Bendis ein und ab dieser Zeit auch mit Artemis selbst. Wodurch sie ihre ersten lunaren Züge erhielt. Doch populär wurde Hekate als Mondgöttin erst in der römischen Zeit und vor allem in der Spätantike.
In der Kunst wird sie erst ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. auch mit der Mondsichel auf ihrem Kopf dargestellt. Und in der griechischen Philosophie wird sie als eine Mondgöttin gedeutet. Besonders durch ihren Bezug zur Unterwelt und den Geistern, wird ihre Verbindung zum Mond gefestigt, da dieser ab der römischen Zeit, als das Reich der Geister gesehen wurde (die chtonische Unterwelt wurde also in der Philosophie auf den Mond verlegt- oder übertragen).
Ab der Spätantike ist Hekates Rolle als Mondgöttin sehr populär und auf Statuen wird sie mit der Mondsichel auf dem Haupt dargestellt. Und für eine Göttin der Nacht, war es nicht verwunderlich, dass ihre Beziehung zum Mond mit der Zeit heranreifte.
Ihre monatlichen Opfermahle zu Schwarzmond und Neumond bedeuteten nicht, dass sie ursprünglich eine Mondgöttin war, sonder bezogen sich auf den Schwellenzeitpunkt, zwischen altem und neuem Monat. Und Hekate war besonders eine Göttin der Übergänge und Schwellen und der Monat wurde durch den Mond bestimmt.
Synkretismus der Göttinnen:
Der Synkretismus der Göttinnen miteinander war oft ein lokales Phänomen. In Griechenland wurden die einzelnen Gottheiten lokal sowieso recht unterschiedlich betrachtet und gedeutet. Viele Quellen eines Synkretismus von Artemis und Hekate beziehen sich auf Athen, Eleusis und Delos (während sie in Ionien kaum verschmolzen wurden). Die Synkretismen von allen drei Göttinnen (Artemis-Selene-Hekate) werden erst ab der römischen Zeit in der Literatur greifbar. Erst in der Spätantike wächst dann auch der vollkommen durchdringende Synkretismus der drei Göttinnen stark heran und wird im römischen Reich populär. Ein besonderer Synkretismus betrifft die Artemis von Ephesos, daher ist diese Göttin hier extra angefügt.
Artemis und Hekate:
In der archaischen Zeit haben Hekate und Artemis von ihren Eigenschaften viele Gemeinsamkeiten. Besonders die Rolle der Kourotrophos, ist bei beiden sehr ausgeprägt. In seiner Theogonie macht Hesiod Hekate zu einer Kusine von Apollon und Artemis. Er verbindet die drei Götter also schon verwandschaftlich miteinander, unterscheidet Hekate und Artemis aber klar voneinander. In der archaischen Zeit ist Hekate mit Apollon in Kleinasien stark verbunden, was auch den Synkretismus von Hekate mit Artemis voran treiben konnte. Ab dem fünften Jahrhundert v. Chr. werden beide Göttinnen als jugendliche und schöne Frauen dargestellt, die Jagdkleidung tragen. Hekate hält Fackeln und Artemis Pfeil und Bogen. Doch auch Artemis kann die Fackel als Attribut tragen (wobei nicht klar ist, ob dies ihr ursprüngliches Attribut war, oder ob sie es von Hekate oder Bendis übernahm).
Durch ihre Rolle als Kourotrophos, werden sie auch beide als Geburtsgöttinnen gesehen und in Athen beginnen sie einen Synkretismus miteinander einzugehen und ihre Namen werden dort teilweise austauschbar.
So wird Artemis-Hekate in einem Theaterstück angerufen:
„Hort sei Artemis Hekate bei Geburten den Frauen. – Aischylus, Tragödien und Fragmente.
Auch bei Euripides wird Hekate zu einer Erscheinungsform der Artemis:
„O Fernschützerin, du Kind Letos, Hekate, Hochhere das ganze Gefild, lodert im Erz glanzhell.“
Beide Göttinnen gehen in dieser Zeit auch einen Synkretismus mit der Göttin Bendis ein. Was auch wieder den Synkretismus von Artemis und Hekate beeinflusst haben wird.
Neben dem Synkretismus mit Artemis und Bendis, gehen auch Beide einen Synkretismu mit der thressalischen Göttin Enodia ein. Enodia wird mit der Zeit vor allem ein Beiname für Hekate, als Göttin der Geister und der Wege. Auch in der orphik sind Hekate und Artemis stark miteinander verbunden und gehen ineinander über. In der orphischen Hymne an Hekate hat Hekate viele Züge der Artemis, auch in anderen Hymnen findet sich diese Überschneidung der Göttinnen.
Ephesia- die Artemis von Ephesos:
Die Göttin von Ephesos (eine griechische Kolonie in Kleinasien, heutige Türkei) war ursprünglich nicht Artemis, sondern eine einheimische Göttin. Vermutlich entweder Kybele (mit der Hekate in Kleinasien auch synkretisiert wurde) oder Hekate. Nach der Hellenisierung wurde die ursprüngliche Göttin von Ephesos durch Artemis überschattet. Sie behielt aber viele ihrer ursprünglichen Attribute. Die geschah mit vielen lokalen Gottheiten, während der hellenissierung, viele lokale Göttinnen wurden mit Artemis gleichgesetzt und mit der Zeit ging ihr ursprüngliches Wesen verloren. Die Artemis von Ephesos hat sich allerdings Züge erhalten, die sie klar von der klassischen Artemis abgrenzen. Sie ähnelt in ihrem Wesen sowohl Hekate, als auch Kybele und Hekate hatte einen eigenen Tempelbezirk im Artemistempel von Ephesos. In der Spätantike verschmilzt die Artemis von Ephesos immer mehr mit Hekate und Ephesos wird zu einem Zentrum für Magie in der damaligen Zeit (und in den Epheserbriefen werden die Kultpraktiken an Artemis-Hekate verurteilt und Jesus mit vielen der Attributen der Göttin versehen. Sowohl die Artemis von Ephesos als auch die Hekate von Lagina wurden von Eunuchenpriestern verehrt, die sich rituell selbst kastrierten. Ephesos und Lagina sind auch nicht weit von einander entfernt, so dass der Synkretismus zwischen den kleinasiatischen Erscheinungsformen von Hekate und Artemis dort wahrscheinlich ganz natürlich war. Sowohl die Artemis von Ephesos als auch die Hekate von Lagina- wurden als Magna Mater** gesehen.
Artemis und Selene:
Ab dem fünften Jahrhundert v. Chr. Wird auch Artemis mit Selene gleichgesetzt, doch eine vollkommenen Synkretismus gehen sie erst in der römischen Zeit miteinander ein. Beeinflusst wurde dieser Synkretismus wahrscheinlich durch den Synkretismus von Apollon und Helios. Es war nur naheliegend, dass sobald Apollon als Sonnengott galt und mit Helios geglichen wurde, seine Schwester auch als lunare Göttin gedeutet wurde und mit Selene geglichen wurde.
Hekate und Selene:
Durch den Synkretimsus von Selene und Artemis wird auch Hekate immer mehr mit Selene geglichen worden sein, doch genauso wie bei Artemis geht Hekate erst in der römischen Zeit einen vollkommenen Synkretismus mit der Mondgöttin ein.
Da Selene in Griechenland kaum kultische Bedeutung hatte, könnte es möglich sein, dass der lunare Bezug von Hekate und Artemis in Griechenland eine gewisse Lücke in der Religion füllte, sie wurden zu lunaren Göttinnen, die sowohl eigene Kulte hatten, als auch eine starke Verbindung zur Fruchtbarkeit. Wahrscheinlich da sie Wesenszüge hatten, die die Römer eher mit ihrer Luna verbanden, die aber der griechischen Selene fehlten. Vielleicht war der Synkretismus von Artemis und Hekate mit der Mondgöttin, somit auch eher eine Verschmelzung mit der römischen Luna, als mit griechischen Selene.
Hekate-Artemis-Selene:
Die Trinität von Hekate, Artemis und Selene wird ab der römischen Zeit populär, wobei dir drei Göttinnen nicht mit einer speziellen Mondphase verbunden wurden, sondern mit dem Mond im allgemeinen. Alle drei wurden als lunare Göttinnen aufgefasst und der Synkretismus zwischen den drei Göttinnen wurde immer stärker hervorgehoben, bis Artemis-Hekate-Selene als eine große lunare Göttin gesehen wird, deren unterschiedlichen Attribute ineinander übergehen. Was durch Hekates klassische dreigestaltige Erscheinungsweise gefördert wurde und die jugendliche Erscheinung aller drei Göttinnen.
Neben der römischen Dichtung tritt diese Sichtweise vor allem in den PGM (griechische Zauberpapyri) auf. In diesen Texten wird Hekate-Artemis-Selene in sieben großen Riten angerufen. In diesen sieben Anrufungen aus den Zauberpapyri finden sich 263 Beinamen der einzelnen Göttinnen. 38 dieser Namen beziehen sich auf Selene, 31 auf Artemis und 111 auf Hekate. 23 lassen sich keiner dieser Göttinnen zuweisen und beziehen sich auf Göttinnen, mit denen Hekate ebenfalls verbunden wurde (Persephone, Kybele, Rhea, die Erynien, die Moiren, Ananke, Hemimarene beispielsweise). Hekate hatte in den PGM also die anderen Göttinnen mit denen sie einen Synkretismus einging, überschattet.
Die Hekate-Artemis-Selene aus dem PGM ist eine große Göttin, sie verkörpert sich durch den Mond und die Natur, sie ist schöpferisch und zerstörerisch, Mutter und Grab allen Seins.
Sie ist aber nicht bloß eine Mondgöttin, sondern eine Verkörperung des Wandels, die Natur und der Mond sind Symbole für den Wandel, Aufstieg und Abstieg, Schöpfung und Zerstörung, Wachstum und Verfall, Geburt und Tod, alles liegt in den Händen dieser synkretischen großen Göttin.
Auch die Göttin Isis wird ab der römischen Zeit immer mehr mit dem Mond verbunden und wurde als eine große Göttin umformuliert, Hekate und Isis gingen schon in der hellenischen Zeit einen Synkretismus miteinander ein. Und sowohl die Hekate (-Artemis-Selene) und die Isis der Spätantike wurden als große Allgöttinnen gesehen und bilden einen Gegenpol zu dem Sol Invictus- den großen synkretischen Sonnengottes und Herrn der Welt (Helios-Apollon-Sol).
Abschluss:
In der Antike wurden Artemis, Selene und Hekate alle als jugendliche Frauengestalten dargestellt und mit keiner speziellen Mondphase verbunden. Auch im späten Synkretismus der Göttinnen miteinander, gehen ihre Wesenszüge und Beinamen zu einer großen Göttin über. Keine von ihnen wird mit einer bestimmten Phase des Mondes verbunden, sondern allgemein mit dem Mond. Die Hekate-Artemis-Selene der PGM hat zwar eine jugendliche Gestalt und wird gleichzeitig als Mutter von allem bezeichnet, doch wird sie nicht als eine Greisin gesehen.
Und schon die Artemis von Ephesoss, die Hekate in Lagina und die Hekate der chaldäischen Orakel- verkörperten das Paradoxon, der jungfräulichen Göttin- die Mutter, Grab und Nährerin von allem ist. So kann die jugendliche Göttin, gleichzeitig eine Magna Mater** sein. Dies kann aber nicht auf die Trinität von Jungfrau, Mutter, Greisin bezogen werden, die heute im Heidentum populär ist.
* Artemis war zwar eine olympische Göttin, mit ouranischen Zügen, in der archaischen Zeit hat sie aber durchaus chtonische (erdhafte) Aspekte, die sie auch später beibehielt.
** Magna Mater bedeutet große Mutter, dieser Titel wurde Göttinnen wie Rhea und Kybele zugesprochen, aber auch der Artemis von Ephesos und der Hekate in Lagina. Hekate wird in der Spätantike immer mehr zu einer Magna Mater und wurde mit Rhea und Kybele geglichen.