Hekates Emanation- die Göttin der chaldäischen Orakel

Bild: Hekate und Dionysos by Georgi Mishev

Hekate in den Chaldäischen Orakeln und der Neoplatonischen Theurgie

Dieser Text beschreibt die Rolle der Göttin Hekate innerhalb des Systems der Chaldäischen Orakel und der Theurgie des Neoplatonismus. Diese Darstellung basiert auf meinem eigenen Verständnis dieses „Systems“, meiner persönlichen Verbindung zu Hekate und meinen Erfahrungen mit ihr.

Ursprung und Wesen Hekates

Die Chaldäischen Orakel sind Offenbarungstexte, die durch Invokationen von Gottheiten – insbesondere Hekate und Apollon (gleichgesetzt mit dem zweiten Licht) – offenbart wurden. Obwohl die Orakel selbst nur fragmentarisch erhalten sind, bieten die Schriften verschiedener Philosophen und deren Interpretationen einen besseren Einblick in diese Lehren.

In den Chaldäischen Orakeln der Spätantike nimmt Hekate eine zentrale und sehr wichtige Stellung ein. Sie wird als die große hyperkosmische Göttin beschrieben, die dem Absoluten-Reinen-ersten Vater-ersten Feuer entsprungen ist, dem urgöttlichen Sein. Sie ist die erste Göttin, die aus diesem Zustand hervorgetreten ist. Die Kraft und das Licht des Ursprungs erfüllen die Göttin – oder sind in ihrem Inneren enthalten; das Potenzial und die Kraft dieses Zustandes durchdringen sie. Durch diese befruchtende Kraft entspringt aus ihr das zweite Licht, das die Dunkelheit erhellt (denn das erste Licht ist in ihrem Inneren verborgen). Die Göttin vereinigt sich dann mit diesem Licht, und aus dieser Vereinigung entspringen die Welten, die Weltseele, die Natur, die Notwendigkeit und das Schicksal.

Das erste Feuer – das Urgöttliche – ist von den Welten getrennt. Das zweite Feuer und sein Licht (Apollon, Helios) erfüllen die Welten. Hekate verbindet und trennt gleichzeitig die zwei Lichter/Feuer sowie die Welten (kosmische Welt und Hyperkosmische Welt).


Die kosmischen Ebenen

In den Chaldäischen Orakeln wird zwischen der Hyperkosmischen Welt und der Kosmischen Welt unterschieden. Die Hyperkosmische Welt ist der Zustand des ersten Feuers, nicht in die Schöpfung und die kosmische Welt eingewoben, unveränderlich und ewig. Die Kosmische Welt ist veränderlich, aber durch die Göttin Hekate und ihr Licht (das zweite Feuer) vom göttlichen Geist erfüllt.

Die kosmische Welt besteht aus drei Ebenen: der empyreischen, der ätherischen und der materiellen Ebene.

  • Die empyreische Ebene: Dies ist die „höchste“ Ebene, das Reich des Göttlichen. Die Götter in ihren hohen Formen/Aspekten haben hier ihren Ursprung, und in seiner höchsten und reinsten Form geht das empyreische Reich in die hyperkosmische Welt über. Hekate erscheint hier als kosmische Göttin; sie ist die Hüterin der Schwelle zum hyperkosmischen Reich. Durch sie kann das Urgöttliche in seiner hyperkosmischen Ebene erreicht werden, da auch sie in ihrer höchsten Form diesem Reich angehört (als Hekate-Soteira). Hekate ist auf dieser Ebene die Mutter, aus der die kosmische Ebene entsprang; dadurch ist sie zugleich außerhalb der kosmischen Ebene wie auch in ihr, transzendent und immanent. Das zweite Feuer erfüllt die empyreische Ebene als reines, gestaltloses Licht, das Licht der Göttin, das aus ihr entsprungen ist. Aus ihr entspringen auf dieser Ebene auch die Iynges – Daimonen, die als Mittler zwischen den Ebenen dienen und für Transformationen sorgen. In den niederen Sphären dieses Reiches haben die mythologischen Götter ihre Ebene. Die niederen Ebenen der empyreischen Sphäre gehen in die ätherische Ebene über. In den hohen Ebenen der empyreischen Sphäre erscheint Hekate als Göttermutter und Soteira (Erlöserin); in den niederen Sphären der empyreischen Ebene offenbart sie sich auch in ihren klassischen Gestalten, wie sie in der griechisch-römischen Antike wahrgenommen wurde – beispielsweise als Lichtbringende Jungfrau (Phosphoros), Nährerin des Lebens (Kourotrophos) und die schutzspendende Hüterin der Pforten (Propylaia), aber auch als die Königin der Hexen, Göttin der Magie und Zauberei, der Nekromantie etc.
  • Die ätherische Ebene: Dies ist das Reich, das im modernen Okkultismus als Astralebene bezeichnet wird. Die ätherische Welt ist das Reich der Geister, Ahnen, mythologischen Wesen; auch die ätherische Kraft (Pneuma) gehört dieser Ebene an, ebenso die Elemente. Hekate erscheint in der ätherischen Ebene als Weltseele; sie erfüllt die ätherische Welt und belebt diese mit ihrer Kraft. Sie ist die Mutter der Geister, Daimonen und der individuellen Seelen. In der Spätantike wurde Hekate im Neoplatonismus in der ätherischen Sphäre vor allem mit dem Mond in Verbindung gebracht. Die materielle Ebene wurde daher auch als sublunare Ebene bezeichnet, denn der Mond galt als ein Übergang von der materiellen zur ätherischen Ebene. Er wurde auch als ein Tor in das Reich der Toten gesehen, und Hekate wurde als eine Art Richterin aufgefasst, die entscheidet, welche Seelen in das Reich der Toten gehen, in die höheren Sphären aufsteigen oder in der materiellen Ebene erneut inkarnieren. Das Licht der Göttin ist in der ätherischen Ebene das Licht der Sonnen- und Lichtgötter. Die ätherische Ebene geht in die materielle Ebene über.
  • Die materielle Welt: In der materiellen Welt offenbart sich Hekate in der Natur. Die Natur ist eine Verkörperung von ihr; in den Orakeln wird die Natur als ihr Umhang/Mantel bezeichnet, der sie umgibt. In der neoplatonischen Philosophie wird Hekate in diesem Aspekt als Physis bezeichnet – sie ist die Göttin, die die Seele und den Geist des Menschen an den Kosmos bindet. Sie ist die Herrin über Erde, Himmel und Meer. Die neoplatonischen Philosophen wollten sich durch ihr asketisches Leben ihrem Einfluss und ihren Verlockungen widersetzen, um ihrem höheren Aspekt als Soteira (Erlöserin) näherzukommen, da Hekate gleichzeitig in ihren niederen Aspekten den Geist an den Kosmos bindet und in ihren höheren Aspekten der Übergang zum Reinen und Absoluten – dem ersten Vater-Urgöttlichen – ist. Das kosmische Licht der Göttin ist in der materiellen Welt das Licht der Sonne.

Die Kraft und die Liebe der Göttin erfüllen alle Welten und schaffen eine Harmonie und Sympathie; alles ist durch diese Kraft mit allem verbunden.


Seele und Theurgie

Auch das Verständnis der Seele ist hier anders als unser modernes, christlich beeinflusstes Seelenbild. Die Seele ist nicht der unsterbliche Teil des Menschen; dies ist der göttliche Geist. Die Seele ist ein Bindeglied zwischen dem göttlichen Geist, unserem göttlichen Funken und der materiellen Welt (dem physischen Körper). Ebenso wie die ätherische Ebene ein Bindeglied zwischen der materiellen und der empyreischen Ebene ist. Der göttliche Geist gehört somit der empyreischen Ebene an, die Seele der ätherischen und der physische Körper der materiellen Ebene.

Die Theurgie der Spätantike hatte zum Ziel, die Seele des Theurgen mit seinem göttlichen Geist in Einklang zu bringen, um dann nach dem Tod nicht mehr in das kosmische Werden und Vergehen eingebunden zu sein, sondern durch Hekate-Soteira in den ersten Vater-erstes Licht- das Urgöttliche einzugehen.

Die Theurgie ist ein rechtshändiger Pfad. Neben dieser existierte in der Antike auch noch ein linkshändiger Pfad, die Thaumaturgie – magische Praktiken, die auf das irdische Leben gerichtet waren. Auch bei diesen Praktiken spielte Hekate eine wichtige Rolle und galt in der Antike sogar als die Königin und Schutzpatronin der Hexen. Wobei ich hier anmerken will, dass der linkshändige Pfad nicht unbedingt böse ist und der rechtshändige Pfad gut. Der rechtshändige Pfad ist auf das Höhere gerichtet, aus dem irdischen Leben hinaus, will transzendieren und den Praktizierenden von dem Inkarnieren und der materiellen Welt lösen. Er beinhaltet einen asketischen Lebensstil, um sich von den Verbindungen zur Welt zu lösen und sich dem Göttlichen zu öffnen. Der linkshändige Pfad ist auf die Welt gerichtet, lebensbejahend; das Göttliche erfüllt die Welt, und Freude und Ekstase können einen mit dem Göttlichen verbinden. Aus meiner Sicht sind es zwei Wege zum selben Ziel – sich mit dem Göttlichen zu verbinden, denn alles, was oben ist, ist auch unten – Soteira und Physis sind eins.


Hekate als Weltenbaum

Ich verstehe Hekate in diesem System als eine Art Weltenbaum: Sie erfüllt alle Ebenen des Seins, trennt und verbindet die Welten gleichzeitig, und sie ist an dem tiefsten und dem höchsten Punkt des Kosmos und gleichzeitig auch außerhalb. Sie ist an den Schwellen von hyperkosmischer und kosmischer Realität und auch an den Schwellen zwischen den drei kosmischen Ebenen des Seins. Die Weltseele entspringt aus ihr, und gleichzeitig ist sie die Weltseele, und sie ist die Natur und gleichzeitig entspringt die Natur aus ihr. Ebenso ist sie auch eine Göttin, die außerhalb der Schöpfung existiert – immanent und transzendent.

Das Bild der Hekate ähnelt in dieser Weltanschauung stark dem modernen Bild der Großen Göttin. In der modernen Mythologie ist die Große Göttin dem Urgöttlichen entsprungen, hat aus sich selbst heraus den Gott geboren und aus der Vereinigung mit ihm die Welten. Sie ist die Natur, alles ist ein Teil von ihr, und alles wird von ihrem Geist erfüllt.

Genauso verstehe ich Hekate in diesem System, und meine persönliche Erfahrung mit ihr spiegelt dies wider. Die modernen Sichtweisen über die Große Göttin sind auch durch die Lehren der Renaissance geprägt, welche durchaus durch die Chaldäischen Orakel und die neoplatonische Theurgie beeinflusst wurden. So kann dort durchaus eine Verbindung bestehen.

4 Kommentare zu “Hekates Emanation- die Göttin der chaldäischen Orakel

  1. Danke fuer diesen Beitrag !! Der Inhalt fasst 100 % tig akkurat in Worte was ich bisher nur als Innere Wahrheit erspueren konnte – fantastisch!

  2. Danke für den tollen Beitrag.
    Ich bin ja eher Shakta-orientiert, und ich bin fasziniert davon und freue mich immer wieder darüber, eine sehr ähnliche Weltsicht auch bei anderen zu finden, wo es doch in der heidnischens Szene doch hier und da immer wieder die Stimme von „Traditionalisten“ gibt, die behaupten, dass solche Gedanken ihren Ursprung bei Crowley, Gardner & Co. haben. 😉

    Ich find es schön zu erkennen, dass dies eben doch nicht der Fall ist, und solche „Trads“ einfach nur etwas negieren, was eben einfach nicht in ihr Konzept passt 🙂

    Mög Hekate Dich weiterhin auf Deinen Wegen führen.

    • hey siat,

      ja die spätantike hekate und auch die spätantike isis sind gute beispiele, dass es auch im westlichen heidentum der antike, universelle große göttinnen gab.

  3. Pingback: NeoplatonikerInnen hier?

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