Geschichte der Göttin

Bild: Hekate by Georgi Mishev

 

Die Geschichte der Göttin Hekate: Einblicke in ihre Entwicklung und Verehrung

 

Die Geschichte der Göttin Hekate wird uns heutigen Menschen durch archäologische Funde wie Weihinschriften, Vasen, Altäre und Statuen erzählt, sowie durch erhaltene Schriften aus der Antike, die ihr Wesen beschreiben, und in der Dichtung der Antike, in der Hekate oft in Verbindung mit mächtigen Hexen wie Kirke und Medea genannt wird.

Hier möchte ich einen kleinen Einblick in die Geschichte der Göttin geben.


 

Archaische Zeit (ca. 800–500 v. Chr.)

 

In der archaischen Zeit wurde Hekate vermutlich als eine Art Magna Mater oder Große Mutter verehrt. Sie war eine ekstatische Göttin, verbunden mit Jagd, der Fruchtbarkeit von Mensch und Tier sowie der Erde. Ihre Züge ähnelten vermutlich denen der Artemis von Ephesos oder der Göttin Kybele.

Aus dieser Ära stammt auch die erste umfassende Beschreibung der Göttin Hekate: Hesiods Theogonie.

Hesiod beschreibt Hekate als mächtige Titanin und vorgriechische Göttin. Als Tochter der Titanen Asteria (oft mit der Nacht und den Sternen verbunden) und Perses (Licht) herrscht Hekate über Erde, Himmel und Meer und ist die Nährerin allen Lebens. Sie ist die einzige Titanin, die ihre Machtbereiche unter der Herrschaft des Zeus vollständig behielt; er nahm ihr nicht nur ihre ursprüngliche Macht nicht, sondern vergrößerte sie sogar.

Hekate wird von den Sterblichen bei jedem Opfer und Ritual angerufen – ein alter Brauch, der ihre tiefe Verankerung im Volksglauben zeigt. Sie erscheint als Vermittlerin zwischen den Menschen und den ouranischen (himmlischen) Göttern. In der Theogonie ist sie jene Gottheit, die am häufigsten im Zusammenhang mit Menschen erwähnt wird. Die Sterblichen rufen sie in jeder Lebenslage an; sie kann Segnungen gewähren, diese aber auch vorenthalten oder nehmen.

Wie es in der Theogonie heißt: „Auch heute noch, wenn unter den Menschen einer ein reiches Bittopfer darbringt, nach altem Brauch, wendet er sich an Hekate und leicht gewinnt der hohe Ehren, dessen Bitten die Göttin gnädig erhört.. Auch Wohlstand schenkt sie ihm aus der Fülle ihrer Macht…. Wem sie will, dem steht sie machtvoll und hilfreich zur Seite, der den die Göttin begünstigt, der ragt aus der Menge hervor. Wenn sich Krieger zum männermordenden Kampf rüsten, da erscheint die Göttin um dem, den sie will, gnädig den Sieg zu gewähren und Ruhm zu schenken.. Bei Gericht steht sie würdigen Herrschern zur Seite und erteilt ihnen weise Gedanken. Hilfreich ist sie auch immer, wenn Menschen sich im Wettkampf messen, denn auch jenen steht die Göttin bei und bringt ihnen ihre Hilfe. Durch sie gewinnt einer durch Kraft und Stärke, leicht gewinnt er den ersehnten Preis und bringt dadurch seinen Eltern Ehre. Hilfreich steht sie auch Jägern bei, wenn sie es will und auch jene die sich auf die stürmische See hinaus wagen um dort zu fischen, flehen zu Hekate und dem Erderschütterer (Poseidon) und leicht gewährt ihnen die herrliche Göttin einen mühelosen und reichen Fang, entzieht diesen aber auch leicht wieder, die schon gesichtete Beute, wenn sie dies will. Zusammen mit Hermes vermehrt sie auch das Vieh im Stall, Rinderherden, Ziegenscharen, wollige Schafe, wenn sie es will, so macht sie aus Wenigem Vieles und aus Vielem wieder Weniges. So ist sie im Kreis der Götter, jene die am meisten Verehrt wird, obwohl sie die einzige Tochter ihrer Mutter ist. Der Kronossohn bestellte sie zur Kourotrophos (Nährerin und Pflegerin) der Jugend, von allen die das Licht der Morgendämmerung bisher erblickten. So ist sie seit Anbeginn die Nährerin der Jugend und dies ist ihr Ehrenamt.“

In Hesiods Darstellung herrscht Hekate über die Ebenen des Seins: Erde, Himmel und Meer. Sie nährt das Leben, ist bei der Geburt anwesend und erhält es durch ihre Segnungen (Fruchtbarkeit, Jagdbeute, Fischfang, Nutztiere). Doch gleichzeitig kann sie das gegebene Leben auch wieder nehmen. Der Tod nährt das Leben, und ohne ihn wäre kein neues Leben möglich. In Verbindung mit der Vermutung, dass Hekate in der archaischen Zeit Ähnlichkeiten mit den ekstatischen Muttergöttinnen aufweist, ergibt dies ein stimmiges Bild.

Die Hekate-Passage in Hesiods Theogonie bereitet vielen Wissenschaftlern Kopfzerbrechen, da Hekate hier primär als segenbringende Göttin dargestellt wird, scheinbar ohne Verbindung zur Unterwelt, der Nacht oder Geistern – Züge, die später für sie als Göttin der Magie typisch werden. Bei genauerer Betrachtung der Passage wird jedoch eine Ambivalenz erkennbar: Die Göttin schenkt Segnungen und Leben, wenn sie es will, kann diese aber auch verweigern und somit den Tod bringen. Zudem zeigt sie Eigenschaften, die „Stammesschamanen“ in ihren Gemeinschaften erfüllen: Hekate verbindet Menschen mit den Göttern, schafft Nahrung und Wohlstand – Ziele früher Magie, um das Überleben des Stammes zu sichern. So wird hier, wenn auch im positiven Sinne, eine Seite angesprochen, die später als Göttin der Geister und Magie stark in den Vordergrund treten sollte.

Eine weitere wichtige Quelle, die Hekate beschreibt, ist der homerische Demetermythos. Hier erscheint Hekate der Göttin Demeter, während diese ihre Tochter Kore sucht, die von Hades in die Unterwelt entführt wurde. Am zehnten Tag ihrer Suche tritt Hekate der Demeter während der Morgendämmerung entgegen, Fackeln in den Händen haltend. Sie offenbart ihr, Kores Schreie gehört zu haben. Gemeinsam begeben sie sich zu Helios, der Demeter dann das Geschehen offenbart. Auch bei der Wiedervereinigung von Kore und Demeter tritt Hekate erneut in Erscheinung; sie ist bei Kores Aufstieg aus der Unterwelt anwesend und wird danach zu ihrer Führerin und Begleiterin. Hier werden ebenfalls Wesenszüge der Göttin hervorgehoben, die später für sie charakteristisch werden: als Göttin der Übergänge und Schwellen (Morgendämmerung, Unterwelt) und als fackeltragende Göttin, die führt und begleitet.

Der Kult der Göttin Hekate und ihre Erscheinung in der archaischen Zeit sind jedoch sehr spekulativ, da wenig gesicherte Informationen vorliegen. Interpretiert man die genannten Quellen zusammen, zeigen sich aber bereits hier Wesenszüge, die sie bis in die Spätantike beibehalten sollte. Sie ist eine Herrin über das Geborenwerden, Leben und Sterben sowie eine Göttin der Schwellen und Übergänge, die zwischen den verschiedenen Ebenen vermittelt.

In seinem Buch „Hekate: Die dunkle Göttin“ vertritt Autor Thomas Lautwein die These, dass Hekate ihren Ursprung in kleinasiatischen Erd- und Sonnengöttinnen hat. Als chthonische und nächtliche Göttin, die das Feuer des Sonnengottes in der Nacht trägt, war sie Lautwein zufolge auch mit der Geisterwelt und magischen Praktiken verbunden.

Hekate erscheint in der archaischen Zeit auch im eleusischen Mysterienkult. Über ihre genaue Rolle dort ist wenig bekannt; vermutlich war sie für die in die Mysterien der Demeter Initiierten eine ähnliche Führerin wie im homerischen Demetermythos für Kore und Demeter.


 

Klassische und Hellenistische Zeit (ca. 500–100 v. Chr.)

 

In dieser Zeit werden die Quellen zu Hekate umfangreicher, aber auch facettenreicher und teils widersprüchlicher. Zum einen wird sie als jugendliche, schöne Göttin dargestellt, die Schutz und Segnungen spendet und Sterbliche führt. Zum anderen avanciert sie in der Dichtung zu einer dunklen und unheimlichen Göttin des Hexenzaubers, der Nekromantie, der Nacht und der Geister.

Diese zwei Seiten spiegeln ihre tiefgreifende Ambivalenz wider. Ähnlich wie andere antike Gottheiten – etwa Apollon, der sowohl heilen als auch Pest bringen konnte – tritt uns Hekate in dieser Zeit entgegen. Einerseits ist sie eine hilfreiche Göttin, die vor Geistern, Verhexungen und Unglück schützt. Mit ihren Fackeln bringt sie Licht in die Dunkelheit der Heime und Herzen. Sie kann Menschen mit dem Göttlichen verbinden, beschützt Schwellen und Übergänge und wird vor allem im Volksglauben angebetet. Andererseits ist sie die Herrin der umherirrenden Geister, Schutzpatronin der Hexen und stellt eine Verbindung zur Unterwelt und den Toten her.

Ihr Wesenszug als Göttin der Wegkreuzungen tritt ebenfalls stark in den Vordergrund. Da Wegkreuzungen – ähnlich wie Tore und Übergänge – als Orte zwischen den Welten galten, an denen Geister anzutreffen waren und volksmagische Praktiken ausgeführt wurden, ist es nicht verwunderlich, dass die Göttin der Magie und der Geister hier verehrt wurde, sei es zum Schutz oder zur Gewinnung der Hilfe dieser Wesen.

Sie wird mit der Göttin Artemis gleichgesetzt, und vielerorts gehen die beiden Göttinnen einen Synkretismus miteinander ein. Auch mit der Göttin Persephone wird Hekate zunehmend gleichgesetzt und geht einen ähnlichen Synkretismus ein wie mit Artemis. Da jedoch niemand in der Antike Artemis und Persephone gleichgesetzt hätte, lässt dies vermuten, dass Hekate Wesenszüge beider Göttinnen in sich vereinte.

Aus dieser Zeit stammen auch die meisten Statuen und bildlichen Darstellungen der Göttin Hekate. Einerseits wird sie als jugendliche Frau dargestellt, die Fackeln oder eine Oinochoe (Gießgefäß) und eine Fackel hält. Andererseits wird sie dreigestaltig dargestellt: drei junge und schöne Frauen, die Rücken an Rücken oder an einem Pfeiler stehen. Sie halten verschiedene Symbole der Göttin in den Händen: Die frühen Hekataia (dreifaltige Hekate-Statuen) halten Fackeln, Früchte (Granatapfel), Blüten, Oinochoen und Teller. Nina Werth deutet diese Symbole der Göttin in ihrem Buch „Hekate: Untersuchungen zur dreigestaltigen Göttin“ als Zeichen ihrer segensspendenden Eigenschaften. Später treten neben diese Symbole auch Dolche, Peitschen, Äxte, Schlangen, Stricke und Schlüssel. Nina Werth vermutet, dass diese Symbole Zauberwerkzeuge waren und die Göttin Hekate als Schutzgöttin der Magie darstellen. Es gibt keine antiken Darstellungen der Göttin, die sie als alte Frau zeigen, wie sie oft im 20. Jahrhundert beschrieben wurde.

In der Hellenistischen Zeit breitet sich der Kult der Göttin bis nach Ägypten aus (das hellenisiert wurde), wo Hekate einen Synkretismus mit der Göttin Isis eingeht. In diesem Zeitraum wird Hekate in Kleinasien, Thrakien, Griechenland und Ägypten verehrt.

Von der klassisch-hellenistischen Zeit an erscheint die Göttin Hekate als chthonisch-unterweltliche Gottheit, Herrin der Geister, der Magie, der Übergänge und Schwellen. Sie wurde vor allem im einfachen Volksglauben verehrt, während sie im staatlichen Kult nur wenig Beachtung fand. Besonders von Frauen wurde sie verehrt. Hekate-Statuen standen in Athen vor Häusern (vermutlich am Eingang) und an Wegkreuzungen; zudem gab es Schreine im Heim. Eine Passage in Euripides‘ Medea lässt vermuten, dass Hekate auch als im Herdfeuer anwesend gedacht wurde (ähnlich wie Hestia), was gut passt, da der Herd stark mit der Ahnenverehrung und als Tor zu ihnen verbunden war. Eine Darstellung der Göttin zeigt sie sogar, wie sie mit ihrer Fackel ein Herdfeuer entzündet.

Die Schwarzmondopfer (Deipna) wurden für sie charakteristisch. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die Geister der Ahnen und die umherirrenden Geister geopfert. Man brachte der Göttin Hekate und den Geistern Speiseopfer auf die Kreuzwege. Auch der Schwarzmond war ein Schwellenzeitpunkt, an dem der alte Monat endete und der neue begann.

In Kleinasien konnten sich auch ihre älteren Züge als Große Mutter erhalten, und Hekate war dort eine einflussreiche Göttin, die mit der Artemis von Ephesos und der phrygischen Kybele gleichgesetzt wurde. In Lagina hatte sie einen Tempel und zeigte sogar solare Züge.


 

Römische Zeit und Spätantike (ca. 100 v. Chr. – 480 n. Chr.)

 

In der römischen Zeit verbreitete sich der Kult der Göttin Hekate im gesamten römischen Reich. Hekate avancierte zu einer wichtigen Göttin in verschiedenen Mysterienkulten, auch wenn ihre genaue Rolle dort oft nur wenig überliefert ist. Sie wurde unter anderem in den Mysterien von Eleusis, des Mithras, der Kybele und des Dionysos verehrt und besaß eigene Mysterienkulte in Aigina und Samothrake. Durch den Synkretismus mit der Göttin Isis beeinflusste sie vermutlich auch den Mysterienkult der Isis.

In Rom wurde ihr Mysterienkult in der Spätantike sehr populär; man sagt, die Mysterien der Isis, des Mithras und der Hekate waren die größte Konkurrenz für das Christentum, als dieses zur Staatsreligion ernannt wurde.

In der römischen Zeit wurde Hekate zunehmend mit dem Mond in Verbindung gebracht und mit Luna und Selene gleichgesetzt. Laut dem antiken Philosophen Porphyrios wurde der Mond mit Hekate verbunden, da er ein Gestirn der Wandlung ist – so wie sich auch die Göttin selbst wandelt und verändert. In der Spätantike wurde Hekate als Mondgöttin sehr populär. Obwohl oft behauptet wird, der zunehmende Mond werde durch Diana, der Vollmond durch Luna und der abnehmende Mond durch Hekate verkörpert, ist dies in der Antike nicht eindeutig nachweisbar. Porphyrios beschreibt die verschiedenen Erscheinungsformen der Hekate und bringt einzelne ihrer Aspekte mit verschiedenen Mondphasen in Verbindung. Hekate wird in der Spätantike im Allgemeinen als Mondgöttin gesehen, nicht als Göttin einer speziellen Mondphase.

Hekate wird erneut zu einer Magna Mater und geht einen Synkretismus mit vielen damaligen Göttinnen ein. In den griechischen Zauberpapyri wird sie als Allgöttin und Beseelerin der Welt beschrieben; sie vereint die Göttinnen Artemis/Diana, Luna/Selene, Persephone/Proserpina, Tyche, die Moiren und Erynnien in sich. Auch die Göttin Isis im römischen Reich wird durch Hekate beeinflusst; die römische Isis hatte nur noch wenig mit der ägyptischen Isis gemeinsam. Sie ist genau wie die römische Hekate eine Göttin des Mondes, Allgöttin, Göttin der Magie, der Geister und des Wandels.

Hekate wird zu einer wichtigen Göttin in den magisch-philosophischen Strömungen der damaligen Zeit, besonders im Neoplatonismus. Dort ist sie die Göttin, die den göttlichen Geist der Menschen an die Erde – an das Geborenwerden, Leben und Sterben – fesselt. Die Neoplatoniker strebten danach, sich durch ihre theurgischen Riten aus diesem Kreislauf zu lösen, um wieder mit dem Allgöttlichen vereint zu sein. Hekate ist auch jene Gottheit, die als Soteira (Erlöserin) den Geist des Theurgen erhöhen und somit wieder in den Hafen des Göttlichen führen kann. Hier ist Hekate die zweite Emanation des Allgöttlichen, eine Göttin der Schwellen und des Übergangs von Kosmos und hyperkosmischem allgöttlichem Geist. Sie ist die große kosmische Mutter, beseelt vom Geist des Urgöttlichen. Aus ihr strömt das Leben, die Natur umgibt sie wie ein Mantel, und die Seele der Welt entströmt ihr. Sie bindet den Geist an die Welt, und durch sie kann man wieder in den urgöttlichen Zustand eintreten, denn dieser erfüllt sie und verweilt in ihr.


 

Mittelalter und Renaissance

 

Nachdem das Christentum zur Staatsreligion des römischen Reiches erklärt wurde, wurden die Tempel der alten Götter und ihre Kulte zerstört. Doch viele Kulte, insbesondere die Verehrung der Hekate und der Geister, lebten im Volksglauben weiter. Die christliche Kirche ging noch bis ins 11. Jahrhundert mit Verboten gegen die Opfer vor, die einfache Menschen der Göttin an den Wegkreuzungen darbrachten.

Hekate veränderte sich erneut. In Italien, Deutschland und dem Balkangebiet wurde im Mittelalter eine Frauengestalt verehrt, die von christlichen Geistlichen auf die heidnische Diana zurückgeführt wurde. Diese nächtliche Göttin wurde je nach Region und Zeit unter unterschiedlichen Namen benannt, doch ihre Darstellungen und Charaktereigenschaften blieben stets ähnlich. Sie durchstreift die Nacht, in ihrem Gefolge befinden sich die Toten und Ungeborenen. Sie hat unterweltliche Züge und ist sowohl mit Haustüren als auch mit Wegkreuzungen verbunden. Hexen treffen sich mit ihr in Ekstasen (Trance) und fliegen mit ihr und ihrer Schar durch die Nacht. Sie segnen und verfluchen im Namen ihrer Herrin. Gehen sie in die Häuser der Reichen, segnen sie diese, wenn das Heim ordentlich geführt wurde, oder verderben die Lebensmittel, wenn dies nicht der Fall war. Die nächtliche Göttin lehrt ihnen Zaubereien, Geisterbeschwörung und Kräuterwissen. Diese Göttin wird in den verschiedenen Berichten als Bensozia, Holda, Percht, Befana, Madame Oriende, Madonna Ludi, Herodias und Nocturnia bezeichnet. In dieser Gestalt des Volksglaubens lässt sich ganz klar ein Echo der antiken Hekate erkennen. Bis zur Renaissance wird diese nächtliche Göttin mit der Hexerei verbunden; erst dann tritt der Teufel als Anführer der Hexen in Erscheinung, und die Hysterie sowie der Hexenwahn beginnen.

In der Renaissance werden die Schriften des Neoplatonismus wiederentdeckt und ihre Lehren im Verborgenen neu belebt, was die magisch-okkulten Schriften und Logen stark beeinflusste. Auch das Bild der Göttin Hekate als Verkörperung der Natur und Quelle der Weltseele wurde neu geformt, was sich wiederum auf das heutige, im allgemeinen modernen Heidentum weit verbreitete Bild der großen Göttin ausgewirkt hat.


 

19. und 20. Jahrhundert: Wiederentdeckung und Neubewertung

 

Im 19. Jahrhundert stieg das Interesse an antiken Religionen, insbesondere an Ägypten und Griechenland. Die ersten Historiker begannen, diese Religionen zu erforschen. Hekate wurde zu dieser Zeit meist als dunkle, furchteinflößende Göttin beschrieben, da sie nicht in das noch christlich geprägte Denken der Epoche passte. Auch in magischen Logen wurde sie als unheimlich empfunden.

1899 erschien Charles Godfrey Lelands Buch „Aradia oder die Lehre der Hexen„. Er veröffentlichte darin Überlieferungen, die ihm angeblich von einer damaligen Hexe anvertraut worden waren. In diesem Buch wird die Hexerei als Kult der Göttin Diana beschrieben. Doch die Diana in Lelands Erzählungen ist nicht die des klassischen römischen Heidentums, sondern eine Göttin, die Hekate sehr ähnelt. Sie erschafft den Lichtgott Luzifer aus sich selbst heraus und die Welt, indem sie einen summenden Kreisel spinnt – Parallelen zur Hekate der Chaldäischen Orakel sind hier erkennbar. Auch die Beschreibung der Göttin als Herrin über Erde, Himmel und Unterwelt, ihr nächtliches Wesen und die Darstellung Dianas als Göttin der unterdrückten Menschen und der Magie lassen Züge von Hekate erkennen. Ihre ambivalente Natur zeigt sich darin, dass sie segnet und verflucht; sie ist die Königin aller Hexereien, und Aradia, die erste Hexe, ist ihre Tochter. Lelands Diana hat wenig gemeinsam mit der keuschen Jungfrau der Römer. Auch die Mythen um Diana und Aradia weisen Ähnlichkeiten mit jenen um Medea und Hekate auf.

Im 20. Jahrhundert entstanden die ersten modernen Hexenzirkel, stark beeinflusst von den Thesen Margaret Murrays (die Hexerei sei ein Überbleibsel eines Diana-Kultes), Lelands Aradia-Buch und Robert Graves‘Die weiße Göttin„. Hinzu kamen Vorstellungen über die Göttin als Verkörperung der Natur aus damaligen zeremonialmagischen Logen. Einerseits verbreiteten sich die Sichtweisen einer modernen Mysterientradition, die als Wicca bezeichnet wurde. Diese wurden sehr populär, und es entstanden viele Bücher über diese moderne Herangehensweise an die Hexerei. Dies führte dazu, dass auch nicht-traditionell in Wicca initiierte Menschen viele Praktiken für sich übernahmen und sich selbst als Wicca bezeichneten. Die moderne Hexerei im deutschsprachigen Raum ist stark von Wicca beeinflusst. Auch der Feminismus trug zur Wiedergeburt der Hexerei im 20. Jahrhundert bei.

In dieser Strömung wurde auch Hekate wieder verehrt, jedoch oft auf eine verzerrte Weise. Sie wurde im 20. Jahrhundert meist als die alte Göttin, die Greisin oder Vettel beschrieben – der dritte Aspekt der modernen dreifaltigen Göttin. Aleister Crowley war vermutlich der erste, der Hekate in seinen Schriften als Greisinnengöttin beschrieb. Auch Robert Graves‘ Buch „Die weiße Göttin“ vertritt die These, dass die alte Muttergöttin in verschiedenen Kulturen als Jungfrau, Mutter und Greisin verehrt wurde. Er wies Hekate jedoch nicht explizit den Platz der Greisin zu, sondern vertrat die These, dass Hekate alle drei Aspekte verkörperte.

Neben der durch Wicca geprägten populären Hexerei entstand auch ein anderer Zweig der Hexenkunst, der diese anders als Wicca interpretierte. Die verschiedenen Erscheinungsformen der traditionellen Hexerei interpretierten die Hexe als eine Art Schamanen – einen Vermittler zwischen der Welt der Geister und der Götter. In der traditionellen Hexerei wurde die mittelalterliche Hexenkönigin wiederentdeckt, verehrt und man näherte sich ihr an. Aus dieser Strömung wird Hekate als Göttin der Schwellen und Übergänge, eine Göttin der Wegkreuzungen und der Magie verehrt. Doch auch hier wurden vor allem ihre dunklen Wesenszüge betont.

Auch im hellenisch-römisch-ägyptischen Rekonstruktionismus wurde Hekate wiederentdeckt und vor allem in ihrer hellenisch-klassischen Form verehrt. Die historisch-wissenschaftliche Welt hat die Göttin Hekate im 20. Jahrhundert neu interpretiert. Ihre nächtlichen und magischen Wesenszüge werden zwar erkannt, doch ihr Wesen wird nicht mehr negativ dargestellt. Moderne Bücher und Artikel beschreiben Hekate zwar auf unterschiedliche Weise, doch alle Autoren bringen neben ihrer bekannten dunklen Seite auch ihre milden, gütigen und segensspendenden Eigenschaften zum Vorschein.

Durch mystische Erfahrungen in Trance, Meditationen und Ritualen haben sich moderne Heiden und Hexen der Göttin wieder angenähert. Sie erfahren und erleben ihre verschiedenen Aspekte direkt und verknüpfen diese Erfahrungen mit dem Wissen aus historisch-wissenschaftlichen Büchern und Artikeln.


 

Hekates Rückkehr im 21. Jahrhundert

 

Im 21. Jahrhundert liegt es an uns, die Verbindung zu Hekate und anderen vorchristlichen Göttern neu zu knüpfen – sei es durch moderne Rituale oder die Rekonstruktion alter Riten. Die Göttin Hekate ist präsent und umgibt uns. Es liegt an uns, wie wir uns ihr wieder annähern.

Für einen noch tieferen Einblick in die faszinierende Geschichte der Göttin Hekate und ihre vielfältigen Aspekte empfehle ich dir mein Buch „Hekates Schlüssel: Alte Weisheit für neue Pfade“, in dem du umfassende Informationen und neue Perspektiven findest.

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